Begriffe wie "Narzisst" oder "Co-Narzisst" bzw. sekundärer Narzisst wandern derzeit durch die Öffentlichkeit und
Gazetten wie nie zuvor in der Geschichte der Psychologie.
Zuschreibungen dieser Art erfolgen in Partnerschaften ebenso wie in Freundschaften oder im beruflichen Kontext und
sind fast immer vorwurfsvoll oder abwertend gemeint. Meist ohne nähere Differenzierung und oft auch ohne Kenntnis des enormen Leidensdrucks von narzisstisch akzentuierten
Menschen.
Ein Primär-Narzisst bläht sein Selbstwertgefühl übermäßig auf, um seine innere Leere
nicht wahrhaben zu müssen, zu der er selbst gar keinen Zugang hat. Auch zu seinem Verhalten und seiner Wirkung nach außen hat er keinen Zugang, muss dies sogar geradezu verleugnen, um nicht
"aufzufliegen". Denn das ist seine größte Angst: aufzufliegen und erneut verletzt zu werden. Er macht alles um Verletzungen und Kränkungen zu vermeiden indem er sich stark macht, sein
Selbstwertgefühl aufpumpt, und versucht größer, mächtiger und wichtiger zu wirken.
Das Aufblähen nach außen hin lässt ihn spüren, dass er jemand Besonderes ist, und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Er hat aber selbst darüber überhaupt kein Bewusstsein, seine innere
(kindliche) Not ist so groß, dass er es überlebensnotwendig benötigt, dass andere Menschen ihm dienen und bedingungslos zu ihm aufschauen. So helfen sie ihm, seine (unbewussten)
Minderwertigkeitsgefühle und seine innere Leere zu überstehen und eben wichtig zu sein oder zumindest sich so zu fühlen.
Traurige Grundlage dieses spektakulären Verhaltens ist ein tiefer innerer Schmerz, meist aus der frühen Kindheit, wo er sich nicht gesehen
oder geliebt gefühlt hat. Eine Kindheit, in der er entweder stark vernachlässigt oder auch übermäßig verwöhnt wurde, wo jedenfalls seine kindlichen Bedürfnisse missachtet wurden. Sein
aufgeblähtes Selbstwertgefühl ist aber äußerst brüchig und wirkt wie eine dünne Haut oder Fassade; platzt sie, fühlt er sich wie ein Nichts und ein totaler Versager. Daher hat der narzisstische
Mensch ständig diese immense, meist aber unbewusste Angst vor Verletzungen und schützt sich mit allen Mitteln davor, seine innere Leere und seinen ursprünglichen Mangel nicht spüren zu müssen.
Sein Leid ist sehr groß.
Ein Co- oder Sekundär-Narzisst hat in seiner Kindheit ebenfalls eine tiefe Art von Leere gespürt. Auch in ihm wurde etwas nicht gefüllt, und
ein Versuch diese innere Leere doch noch zu füllen, war es sich anzupassen und zu den Menschen aufzuschauen, die groß und stark, mächtig und beliebt, bestimmend und durchsetzungsfähig etc.
wirkten.
Für diese Menschen da zu sein machte es ihm möglich, sich auch selbst größer und stärker und also nicht mehr ganz so leer zu fühlen. Ein Muster, das oft in der sehr frühen Kindheit entsteht, wenn
auf die Erwachsenen im Leben dieses Kindes kein Verlass ist oder sie ihm keinen Halt und keine sichere Bindung anbieten konnten.
Hat ein Co-Narzisst einen stark erscheinenden Menschen um sich, fühlt er sich selbst wertvoller. Oftmals sind dies parentifizierte Menschen, die sich wie eine Mutter oder ein Vater um
ihre eigene Mutter oder den eigenen Vater kümmern mussten, die Rollen waren sozusagen vertauscht. Sie sind dann immer auf der Suche nach dieser unerfüllten
Elternliebe oder diesem Schutz, den die Eltern ihren Kindern geben hätten sollten, und vor allem sind sie immer auf der Suche nach Anerkennung.
So entwickelt sich eine Abhängigkeit zwischen dem Primär- und Sekundär-Narzissten, die im reflektierenden Gespräch in der therapeutischen Begleitung durchaus fruchtbar sein kann, wenn beide
lernen ein Bewusstsein über ihre Abwehrmechanismen, ihre Verhaltensstrategien und die Hintergründe dazu zu erlangen.
Leider braucht es oft jahrelangen Leidensdruck, bis sich die Betroffenen einer therapeutischen Behandlung anvertrauen, die Erfolgschancen stehen jedoch bei
beiden Persönlichkeitsstilen sehr gut.